Alle reden dauernd über Zahlen, dabei wollte ich doch nur Football gucken.
Na, dann aber mal ran. Wie funktionieren Football Analytics? Die Zahlen sind locker so spannend wie das Spiel selbst. Vielleicht hilft dir ja dieser Text. Der Artikel möchte mit anschaulichen Beispielen eine Art Einführung in das Thema Football Analytics geben, zeigen was mehr oder weniger sinnvoll ist und Lust auf darauf machen. Dies ist natürlich kein wissenschaftlicher Artikel. Es gibt kein Literaturverzeichnis und es werden bei Weitem nicht alle verfügbaren Quellen genannt, aber es gibt ein paar hilfreiche links zu Seiten mit Footbal Analytics am Ende des Artikels.
Statistik ist überall in der NFL
Ihr kennt das. Egal wohin man schaut, in der NFL kommt man um Statistiken nicht herum. Ob nun Roman Motzkus auf Ran erzählt, an wievielter Stelle eine Offense im letzten Jahr stand, oder ob sie bei geöffnetem oder geschlossenem Dach häufiger gewonnen hat. Ob beim Originalsender Einzelspieler Statistiken eingeblendet werden (der erste, der in drei aufeinanderfolgenden Saisons mindestens fünf Mal hintereinander seinen Kram im Lockerroom vergessen hat), oder ob in Podcasts die Autoren über EPA und DVOA sprechen. Überall begegnet euch irgendeine Form der Auswertung. Die Datenbanken sind voll. Klassische Auflistungen (Qb hat in 23 von 35 Versuchen für 258 Yards geworfen) hängen allerdings oft ohne Kontext in der Luft.
0815 hift nicht
Ihr habt das sicher selbst schon gesehen; ein Team hat extrem viele offensive yards gemacht, aber trotzdem verloren. Oder: Ein Qb hat relativ wenige Passing yards und keine TDs in einem Spiel geworfen, dass Team hat aber trotzdem gewonnen. Das könnte der Fall sein, weil zum Beispiel der Game Plan perfekt umgesetzt wurde, entscheidende 3rd downs converted worden sind, und die Pässe des Qbs das Team bis kurz vor die Endzone gebracht haben, von wo der Ball dann zum TD gelaufen wurde. Das war dann gut vom Qb gespielt, aber die TDs bekommt er halt nicht „gutgeschrieben“.
Solche Werte sind dann „nice to know“, spiegeln die Leistungen aber nur bedingt wieder und helfen schon gar nicht dabei Entscheidungen für einen Game Plan abzuleiten. Lasst also das „klassische“ Zeug mal stecken. 6 receptions für 118 yds kann toll sein, ist aber grottenschlecht, wenn der Receiver 10 mal angeworfen wurde und 4 Bälle gedropped hat. Oder wenn er 20 Mal der primary read war und sich 14 Mal nicht gut freigelaufen hat.
„Perfection is not attainable, but if we chase perfection we can catch excellence.“
Vince Lombardi
Klassische Playerstatistiken oder weiterführende Football Analytics?
Wichtiger sind dann schon weiterführende Analysen. Die Spielauswertungen geben es mittlerweile her zu sehen, wie oft ein Qb in ein „tight window“ werfen musste, oder wieviele Yards „separation“ ein WR im Durchschnitt geschafft hat, also wie frei er beim Spielzug steht und wie sicher er damit als Anspielstation ist. In der Saison 2019/2020 waren da übrigens Williams und Parker mit einem 2,1 yds Durchschnitt über die ganze Saison gesehen eher sehr(!) schwach. Gesicki schaffte 2,7 yds, Hurns 3,0 yds und ligaweit ganz oben mit dabei war Wilson mit 3,5 Yards. Damit kann ein Coach schon mehr anfangen. Im Fall der Dolphins 2021 sogar sehr konkret. Die nicht vorhandene separation als Dauerproblem der Saison 2020 dürfte mit ein Grund gewesen sein, weshalb mit Fuller und Waddle Spieler geholt wurden, die hier besser aussehen und dem jungen Tua helfen können.
Next Generation Statistics
Bei next gen stats (unten verlinked) könnt ihr euch auch ein paar weitere Beispiele anschauen. War der Lauf länger als erwartet? Hat ein Qb besonders viele unwahrscheinliche Completions geschafft (auf Basis von Entfernung zum Reveiver und dessen separation)? Wie viele Yards after catch hat ein Passempfänger im Durchschnitt geschafft und war das mehr, oder weniger, als man hätte erwarten können? Und Vieles mehr…
Spannend wird übrigens bei Tua nicht das klassische 8/11 für 99yds, 1INT, 0TD, sondern ob er die Hauptkritik des letzten Jahres wiederlegen und sich beim aggressiveren Passen in die Tiefe entwickeln kann. Hier kann man besser auf die Average intended Air yards (IAY) schauen, also wie tief (vertikal) seine Passversuche im Schnitt waren. Außerdem extrem spannend: die Completion percentage above expectation. Hier wird ausgewertet, abhängig von der Nähe des nächsten Passverteidigers und der Entfernung des Passempfängers, wie wahrscheinlich die completion war. Bei 5 yds Pässen und einem Defensive Back in 3 Metern Entfernung kann man keine „percentage above expectation“ erreichen (da ist die Erwartung nahe 100%). Sollten Tuas Werte hier gut sein, dann ist das ein feiner Indikator für mutige und tiefe Pässe, da man nur mit solchen Bällen über den Erwartungen performen kann.
OSM
Ein weiteres Beispiel: OSM (Offensive Share Metrics, auch OVM, Offensive Value Metric genannt) von Profootballnetwork.Hier geht es um den einzelnen Spieler und seine Verantwortlichkeit in einem Spielzug. Leider behält PFN den Algorithmus unter Verschluss, erklärt aber: „The PFN Offensive Share Metric measures how much of a player’s statistical production they were actually responsible for. For example, a wide receiver that doesn’t drop passes and breaks a lot of tackles will have a higher grade than one who did the opposite. So, a player with a higher grade was more responsible for their own production than a player with a lower one.“
PFF
Viele kennen mittlerweile auch PFF grades (vielleicht vom zocken?). Hier bekommen Spieler über die gesamte Saison für jedem Snap den sie spielen einen grade zwischen -2 und +2 zugeordnet. Das Ganze wird nach PFF Algorithmus zusammengerührt und ergibt dann die Werte die man kennt. Die Idee, jede Exekution des Jobs bei jedem einzelnen Play zu beurteilen ist klasse. So können auch Spieler bewertet werden, für die es schwer ist harte Parameter zu finden, zum Beispiel Offensive Linemen. Ein bisschen mehr zu PFF, auch zur Kritik daran gibt es unten im Anhang.
Insgesamt werden die einzelnen Spieler immer transparenter.
Gibt es weiterführende Statistiken für NFL-Teams?
Kann man aus den ganzen erhobenen Daten nicht mehr nach dem Spiel rausholen, als running: 35 carries für 103 yds, passing: 27 von 40 für 305 yds, 3rd down conversion 4 von 7, fumbles lost, time of possession, usw?
Ja, man kann mit Football Analytics weiter gehen.
Fragen wie
-Wann ist es sinnvoller ein 4th down auszuspielen, statt zu punten?
-Sollte man bei einem 1st down eher werfen, oder laufen?
-Wie effektiv ist play action passing im Vergleich zu „normalem“ Passspiel.
-Hat ein erfolgreiches run Game einen Einfluss auf das Passspiel?
-und vieles mehr 🙂
werden da mittels statistischer Analysen untersucht. Bei gut gemachten Untersuchungen können die Ergebnisse einen relevanten Einfluss auf die Playbooks und Game Plans der Coaches haben. Es lohnt sich aber genau hinzuschauen, was und wie ausgewertet wurde, bevor man einem Ergebnis zu viel Bedeutung beimisst.
Beispiel gefällig?
Wir gehen mal ein (halb-) fiktives Beispiel durch, wie solch eine Analyse auf Teamlevel aussehen könnte:
Was ich wissen möchte:
Die Fragestellung: does the running game sets up the pass?
Die gewählte Analysemethode: Analyse der Passspielzüge, die direkt nach einem erfolgreichen Lauf stattfanden vs Passspielzüge, die direkt auf einen schwachen Lauf folgten, gemessen an der completion rate.
Die Eingangsparameter: Wir brauchen zunächst einmal eine Definition von „erfolgreichem run“: Hier wählt der fiktive Analyst die % der benötigten yards zum nächsten First down. (45% der Strecke beim ersten Versuch, 60% beim zweiten Versuch, 100% beim dritten Versuch gelten als erfolgreicher Lauf). Ähnliches muss für einen „nicht erfolgreichen run“ definiert werden. Dazu, welche Datenpunkte ausgewertet werden sollen (Zeitraum, gehen scramles eines Qb in die Analyse ein oder nicht, usw)
Die statistische Rechnung: macht die Maschine 😂
Das Ergebnis: die completion percentage ist nach einem vorangegangenen, erfolgreichen run nicht höher, als nach einem vorangegangenen schlechten run.
Die Schlussfolgerung: erfolgreiches Laufspiel hat keinen Einfluss auf ein erfolgreiches Passspiel.
Das ist wirklich ein sehr einfaches Beispiel, um zu schauen, an welchen Stellen man bei Football Analytics einhaken kann. Die Rechnungen werden wir als Ottonormalverbraucher nicht nachvollziehen können; müssen wir auch nicht. Mit den heute verfügbaren Programmen können die Analytiker große Modelle sauber rechnen.
Worauf ich achten sollte:
„Ich stehe Statistiken etwas skeptisch gegenüber. Denn laut Statistik haben ein Millionär und ein armer Kerl jeder eine halbe Million.“
Theodore Roosevelt
Eignet sich die Methode?
Im oben genannten Beispiel könnte man fragen, ob die Auswertung sinnvoll ist. Kann man wirklich einen Schluss daraus ziehen, dass erfolgreiches Run Game den Pass aufbaut, wenn man immer die direkte Folge eines Passes auf einen vorangegangenen Lauf auswertet? Es könnte ja sein, dass das Team vier Läufe hintereinander macht von denen die ersten drei gut waren, der vierte aber schlecht. Jetzt folgt ein guter Pass. In die Analyse würde jetzt eingehen: guter Pass nach schlechtem Lauf. Solche Daten würden die These bestätigen, dass ein gutes Laufspiel nicht hilft, den Pass zu etablieren. Allerdings wäre es möglich, dass die Defence vier Läufe gesehen hat, von denen drei gut waren und jetzt besonders auf den Lauf aufpasst und deshalb den Pass kassiert.
Also: hier könnte man den Analysten in Bezug auf seine Methode zu Recht hinterfragen. (Genauso kann man fragen, ob completion rate eine gute Größe ist und ob Raumgewinn nicht vielleicht eine Alternative wäre)
Sind die Eingangsparameter gut gewählt?
Welche Daten werden in die Analyse einbezogen? Fallen bestimmt Plays oder Zeiträume raus und warum? Oder, um im Beispiel zu bleiben, warum ist ein erfolgreicher run genau so definiert wie oben beschrieben? Im Beispiel würden bei einem First Down alle Runs als erfolgreich gewertet, die 45% der Strecke zu einem neuen First Down erbringen. Bei einem First and 10, also 4,5 yds. Bei einem 1st and 5 würden bereits 2,25 yds reichen, um als gut zu gelten. Aber bei einem 1st and 15 wäre ein 6,5 yds run als nicht erfolgreich definiert (sind nur 43%), obwohl ein großer Raumgewinn die Defence möglicherweise beeindruckt. Der Analyst sollte herleiten können, warum genau diese 45% eine gute Zahl ist und warum er mit Prozenten und nicht mit absoluten Werten arbeitet.
Passt die Interpretation zu dem, was Frage und Methode hergeben?
Mit der im Beispiel gezeigten Analyse wäre es etwas selbstbewusst, zu sagen, dass erfolgreiches Laufspiel keinen Einfluss auf das Passspiel hat. Zum Einen hätten wir berechtigte Fragen schon bei Methode und Eingangsparametern, zum zum Anderen gibt das Ergebnis (die completion percentage ist nach einem vorangegangenen, erfolgreichen run nicht höher, als nach einem vorangegangenen schlechten run) eine so weitreichende Schlussfolgerung nicht her. Was ist mit absoluten Yards, mit erreichten First Downs, oder anderen Parametern die man sich bzgl. der Passeffektivität angucken kann.
Das Fazit der Rechnerei:
Unser Analyst im Beispiel hat also nicht so ganz tipptopp gearbeitet.
Mittlerweile sitzen da aber eine ganze Menge an kompetenten Leuten dran und lassen die Rechner heißlaufen und glücklicherweise ist diese Frage in der Zwischenzeit besser untersucht worden, u.a. auch auf Basis der EPA (s. unten, was sind EPA). Heute weiß man aus diesen Analysen, dass ein erfolgreiches Laufspiel keinen positiven Einfluss auf das Play-Action Passing hat. Aus guten Analytics können also grundsätzliche Muster in Bezug auf Effektivität resultieren. Als recht sicher gilt außerdem mittlerweile z.B., dass bei einem First Down ein Pass besser ist als ein Lauf und dass Play-Action Passen effektiver ist als „normales“ Passspiel.
Was machen die Mannschaften mit den Erkenntnissen?
Warum zum Henker sehen wir dann immer noch so viele Läufe beim First Down? Warum sehen wir bei Pässen nicht ausschließlich Play-Action? „Ligaweit kommen nur knapp über 20 Prozent der Pässe via Play Action, nur sieben Quarterback hatten vorletztes Jahr (2018) eine Quote von über 30 Prozent: Lamar Jackson, Jared Goff, Carson Wentz, Tom Brady, Marcus Mariota, Russell Wilson und Patrick Mahomes.“ (bei Spox kopiert).
In der Saison 2020 nach Woche 6, lagen nur folgende Qbs über 30%: Goff 45%, Tannehill 40%, Josh Allen 35%, Jackson 33%, Rodgers 32% und Mayfield 31%.
Wilson 28%, Wentz 26%, Brady 19% und Mahomes 13% lagen zum Teil deutlich darunter.
Warum so wenig?
Gründe dafür kann es viele geben. Zum Einen machen solche Football Analytics generelle Muster sichtbar. Es kann aber durchaus sein, dass Coaches im Rahmen eines gezielt auf den Gegner zugeschnittenen Game Plans davon abweichen, weil sie im konkreten Fall andere Mechanismen als wichtiger ansehen.
Zum Anderen gibt es aber ziemlich sicher auch den Typ Coach, der mit den Statistik-Nerds nicht viel anfangen kann und mehr auf seine Erfahrung und sein Gefühl vertraut.
„I never felt I knew it all. I always felt there’s something new to learn, something new to do“
Don Shula
Dazu kommt die Situation, dass man als Team vielleicht Ergebnisse der Analysen nicht umsetzen kann, oder will. Denn: was mache ich, wenn ich als Coach zwar weiß, dass im Durchschnitt der Liga ein Pass beim First Down effektiv ist, ich aber einen unterdurchschnittlichen Quarterback habe?!
Schaffen Football Analytics sich selbst ab?
Zum Abschluss dieses Abschnitts noch eine Frage. Wenn alle Teams wissen, dass zum Beispiel bei einem First Down ein Pass effektiver ist als ein Run (das gilt als recht gut belegt) und alle Teams nach den gefundenen Mustern aus den Football Analytics spielen, führt sich das Ganze dann nicht selbst ad absurdum? Denn es wissen ja alle was kommt?!
Das Pendel
Aus meiner persönlichen Sicht würde es (bei 100%iger Umsetzung der Erkenntnisse) über die Zeit wohl zu einer Pendel- oder Wellenbewegung kommen. Eine Weile geht das womöglich gut, denn es wäre ja pro Play immer noch nicht bekannt, welches Passplay der OC wählt, und es käme natürlich auch entscheidend auf die Exekution an, aber schlussendlich können Verteidigungen sich voll darauf einstellen, denn sie haben Down & Distance (1 -10) und das Offensive personel. Sie müssen nicht auf den Lauf achten, können z.B. den Safety aus der Box lassen für zusätzliche Sicherheit, oder ihn als QB Spy oder Blitzer einsetzen. Die LBs können in ihrer Zone sitzen und müssen nicht nach vorne kommen gegen den Lauf. Man stellt keine 330 lbs Nose Tackles mehr auf’s Feld, sondern nur Gap Penetrators und Rush DEs. Über die Zeit führt das dazu, dass Passen bei First down nicht mehr effektiv ist.
Die Analytics würden das natürlich ebenfalls ausweisen und es käme zu einem Trend in Richtung Run. Wenn dann alle wieder laufen (weil sich ja der Pass als ineffektiv gezeigt hat), geht das gleiche Spiel andersherum weiter -> Pendelbewegung.
Den Pendelausschlag klein halten
Das dürfte auch der Grund sein, weshalb wahrscheinlich kein HC diesen Mustern zu 100% folgen wird. In unserem Beispiel würde er sich immer eine Chance auf den Lauf offenhalten, um nicht eine vollständig auf Pass eingestellte Defence gegen sich zu haben, die dann die eigentliche Effektivität des Passes wieder reduziert. In der 2020er Saison (bis Woche 6) hat Miami bei 1st Downs 81 Pässe und 40 Läufe gespielt. Auch bei anderen Teams (Buf, Ten,…) lässt sich ungefähr ein 2:1 Verhältnis finden. Offenbar versuchen eine Reihe Coaches so vom Pass beim First Down zu profitieren, ohne ihn zu entwerten.
Was bringt die Zukunft?
Spannend wird es also, wenn man das Ganze über die Zeit betrachtet. Durch die Analytics werden sich Spielstrategien ändern. Damit ändert sich aber auch die Grundgesamtheit und die Ausgangsbasis der Analysen. Je mehr die Teams sich anpassen, desto schneller. Es braucht also immer frischere Auswertungen. Auf Basis einer 2017er Erkenntnis lässt sich wahrscheinlich 2022 kein solider Matchplan mehr aufsetzen. Die Teams wissen das und stocken derzeit massiv ihre Abteilungen auf. Firmen, die über Daten und Auswertungen verfügen, werden künftig viel Geld verdienen. Man kann es sehen wie man will, Analytics sind da. Es wird noch viele Erkenntnisse daraus geben. Wie sie von den Teams interpretiert und umgesetzt werden, wird die Zukunft zeigen, aber sicher wird das reine Coaching nach Erfahrung und Bauchgefühl weiter in den Hintergrund treten.
Im Baseball hat das vor Jahren schon eine kleine Revolution ausgelöst. Wer sich das in unterhaltsamer Form anschauen möchte, der guckt einfach mal den Fim „Moneyball“.
Drei populäre Parameter bei Football Analytics
EP und EPA
Üblicherweise misst man den Erfolg eines Plays im Football über gewonnene (oder verlorene) yards. Aber ist ein 4Yard Raumgewinn bei einem 3rd Down und 4 nicht wertvoller als bei einem 3rd Down und 8? Schließlich führt es ja in einem der beiden Fälle zu einem neuen First Down. Man sollte also die „Down und Distanz“ mit bewerten, wenn es um darum geht zu beurteilen, ob ein Play erfolgreich war..
Auch die Feldposition sollte Berücksichtigung finden. Yards die man kurz vor der gegnerischen Endzone macht sind wertvoller (weil näher an direkten Punkten) als Yards die man rund um die Mittellinie gewinnt. Und mal andersherum gedacht, yards, die man kurz vor der eigenen Endzone verliert sind teuer. Irgendwie muss das also auch rein.
Analysten haben dafür ein System entwickelt. Die EP (expected points).
Ein First Down und 1 direkt vor der gegnerischen Goalline bekommt den Wert 6 zugeschrieben (man hört ja die Punkte fast schon klingeln), wohingegen eine Situation vor der eigenen Endzone sogar einen negativen EP Wert bekommt.
Was sind nun die EPA (expected points added)?
Ganz einfach, man guckt von welcher Position man kommt und welchen EP diese Position auf dem Feld hat. Wenn das Play gespielt wurde, guckt man welchen EP die neue, gerade erreichte Feldposition hat.
Beispiel:
Die offense hat ein 1st und 10 an der Mittellinie. Diese Situation ist +2.0 EP wert. Ein 5-yard Raumgewinn würde in ein 2nd and 5 von der 45 münden, das +2.1 EP zählt. Daher, hätte dieser 5-yard Gewinn die EP um +0.1 Punkte erhöht. Diese Erhöhung nennt man Expected Points Added (EPA). Eine Verschlechterung der Feldposition, oder auch der Erhalt der Feldposition durch eine incompletion verschlechtert den EP. Der EPA wäre also negativ.
Ein 5-yard loss bei 1st down an der Mittellinie würde in ein 2nd and 15 von der eigenen 45 der Offense resultieren. Ein EP in dieser Situation ist mit +1.2 definiert, der Spielzug entspräche also einem EPA von -0.8 EPA.
Warum EPA?
EPA solltet ihr mal gehört haben, denn sie werden derzeit zunehmend in den Analytics als Messgrößen verwendet. EPA als Messgröße ist neutral und ohne jeglichen subjektiven Einfluss von Beobachtern. Als Parameter erscheint EPA vor allem dann sehr sinnvoll, wenn man die Spielstrategie/Spielzugauswahl beurteilen will (war das Play effektiv? Wie viele zusätzliche EP hat es gebracht?). Bei Betrachtung mehrerer Teams über mehrere Jahre lassen sich die oben erwähnten grundsätzlichen Muster ableiten. EPA Werte existieren auch für einzelne Spieler, hier ist allerdings ein bisschen Vorsicht geboten, denn der Player kann zwar viele oder wenige EPA erzielen, aber er hat ja auf die Auswahl des Plays keinen und auf die Execution nur einen teilweisen Einfluss.
Aber es gibt ja z.B. auch die oben erwähnten OSM und andere Parameter die einen Spieler heute genauer bewerten als die althergebrachten average yards per run o.ä.
DVOA (Defense-adjusted Value Over Average)
Die Seite „Football Outsiders“ die seit 2003 existiert und regelmäßig Kolumnen zum Thema Advanced Statstics publiziert nutzt DVOA als wichtigen Analyseparameter. Darin wird über eine ganze Saison, Spielzug für Spielzug der Erfolg der Plays bewertet und zwar unter Berücksichtigung von „down, distance, location on field, current score gap, quarter, and opponent quality“. Das Ganze wird dann in Relation zum Durchschnitt der Liga gesetzt.
Die Qualität dieser Daten ist ziemlich gut. In der Saison 2019 wurden zum Beispiel die Ravens als stärkstes Team nach DVOA ermittelt (gut, den SB haben die Chiefs geholt, aber Baltimore hat ja eine gute Saison gespielt), das schwächste Team wären nach DVOA die Dolphins gewesen (waren wir ja auch nicht weit weg von). 2018 galten die Chiefs, 2017 die Saints als stärkstes Team. In den gleichen Jahren galten die Browns und die Cards als schlechteste Teams (beide haben auch tatsächlich den First Overall Pick erreicht).
PFF
Hier bekommen Spieler über die gesamte Saison für jeden Snap den sie spielen einen grade zwischen -2 und +2 zugeordnet. Das Ganze wird nach PFF Algorithmus zusammengerührt und ergibt die Werte die man kennt. PFF gibt auf seiner Hompage auch Beispiele für die einzelnen Positionen, auf was die Experten beim grading gucken.
Kritischer Blick auf PFF
PFF ist zwar sehr beliebt, aber ein bisschen Vorsicht ist angebracht. Auch wenn PFF angibt, dass ihre „grader“ monatelang geschult werden, so bleibt doch die Frage: kann eine Person wirklich sicher bei jedem Spielzug sagen, ob das Verhalten des Spielers jetzt eine +0,5, oder doch schon eine +1 war (vor allem, wenn man das Playcalling nicht kennt und daher nicht 100%ig weiß, was der beobachtete Spieler genau hätte tun sollen).
Viel schwerer wiegt aber, dass meines Wissens nach bisher keine intra- und interreader Übereinstimmungen veröffentlicht wurden. In der Medizin, in der u.a. im Rahmen von Studien auch viel mit Grades gearbeitet wird, ist so etwas Pflicht. Es fehlt also eine Information wie zuverlässig die gleiche Person, das gleiche Play auch immer wieder identisch bewerten würde (intrareader). Und es fehlt die Information, ob das gleiche Play von unterschiedlichen Personen auch immer das gleiche Grading erhalten würde (interreader).
Nette Links
Falls ihr mehr zu dem Thema Football Analytics wissen wollt, hier ein paar nette Artikel:
Eine schöne Übersicht über Analytics bei Spox:
Hier (bereits aus 2012) eine ausführliche Erklärung zu EPA von ESPN:
https://www.espn.com/nfl/story/_/id/8379024/nfl-explaining-expected-points-metric
Hier ein paar Beispiele was so alles untersucht wird (Sind big plays Zufall?, Wann soll man beim 4th down dafür gehen?, 2pt conversion, oder EP?, und weitere nette Sachen):
Oder schaut z.B. mal bei footballoutsiders rein. Hier gibt es wirklich viel unter anderem die oben erläuterte DVOA.
Der Link führt als Überblick zum Glossar:
https://www.footballoutsiders.com/info/glossary
Die OSM der Spieler gibt es hier:
https://www.profootballnetwork.com/pfn-offensive-share-metric/
Zu PFF geht‘s hier
NextgenStats mit interessantenIndividualstatistiken wie „unwahrscheinlichen Pässen“, „herausragenden Läufen“ und mehr. Kann man übrigens schnell und leicht nach Passing, Receiving, Running filtern.
https://nextgenstats.nfl.com/stats/top-plays/improbable-completions/2020/all
Eine saubere Einführung in Footballstatistik (und mehr) gibt es hier bei lead-Blogger
Viel Spaß beim stöbern und FinsUp, marcus
Eine Antwort
[…] analysiert und diskutiert wird ist für mich Wahnsinn. Unser lieber Marcus hat dazu ja auch bereits hier einen Artikel […]