Anlässlich der Bye week: eine erste Bestands-Aufnahme der bisherigen Saison (Teil I – Offense)

I. Einleitung

Die Bye week der Miami Dolphins steht (recht früh) vor der Tür und so ist es an der Zeit, die ersten fünf der 17 Saison-Spiele Revue passieren zu lassen und Bilanz zu ziehen. Spiele gegen die Jacksonville Jaguars und bei den New England Patriots wurden gewonnen, Heimniederlagen gegen die Buffalo Bills und Tennessee Titans sowie bei den Seattle Seahawks mussten akzeptiert werden. Mit einer Bilanz von dementsprechend 2-3 steht man in der Theorie 2 Siege schlechter da, als viele Optimisten und einen schlechter als mehrere Realisten dies vor der Saison prognostiziert hatten. So weit, so bedauerlich. Wer die Spiele aber verfolgt hat, der muss an vielen Punkten den Finger in die Wunde legen. Beginnen wir mit dem, was man bedingt beeinflussen konnte: Die Verletzungen – und holen wir damit den Elefant schon zu Beginn aus dem Raum…

II. Die Verletzungen als beschränkender Faktor – schon wieder…

Auf dem Papier besitzen die Miami Dolphins einen ziemlich starken Kader. Allerdings hat in dieser Saison bisher noch nicht die stärkste Formation auf dem Turf gestanden. Damit sind nicht langwierige Verletzungen von Tahj Washington oder River Cracraft gemeint, die eher als erweiterte Stammkräfte bezeichnet werden könnten. Ihr Status als 53er roster player ist davon aber nicht betroffen. Sie hätten sicherlich in der Tiefe helfen können und fehlen ebenso wie die potentiellen Starter.

Zu aller erst muss man hier Guard Isaiah Wynn und WR Odell Beckham Jr. nennen. Zusammen wurden sie auf die PuP list gesetzt und sind bisher nur in Form von „OBJ“ zurückgekommen. Wobei ich dessen 11 snaps im letzten Spiel in Boston nicht als „echte“ Rückkehr bezeichnen würde. Ohne Catch und nur mit zwei targets konnte er sich statistisch nicht nachhaltig in Miami anmelden. Mit Wynn sähe sicherlich einiges anders aus. Zumindest nach der bye week besteht die Hoffnung, dass Wynn zurückkehren könnte.

Der zweite große limitierende Faktor sind die in sesason injuries wichtiger Stammkräfte, die den Fins die gute Laune vermiesen. Das LT Terron Armstead keinen Körper mehr für 10+ NFL-Spiel haben würde, musste so angenommen werden. Immerhin hat er vier Spiele und 75% der offensiven snaps auf der Haben-Seite zu stehen. Die hat ein anderer wichtiger Motor der letzten Saison nicht zu bieten. RB Raheem Mostert hat drei Spiele wegen einer chest injury verpasst – alle drei Spiele haben die Dolphins verloren. Ob das jetzt nur an ihm lag, darf angezweifelt werden. Sein Comeback am Sonntag gegen die Pats sah mit 19 rushing attempts für 80 Yards und zwei Catches für 18 Yards zumindest schon wieder einigermaßen okay aus. Mit dem oben angesprochenen Beckham Jr. und dann Mostert wird die Offense zumindest nicht schlechter aufgestellt sein.

Der bitterste und schwerste Ausfall betrifft aber natürlich die Verletzung von Tua Tagovailoa, der im Spiel gegen die Buffalo Bills eine weitere Concussion erlitt und auf die IR-Liste gesetzt wurde. In den ersten Tagen sahen viele die Karriere des Spielers am Ende; nach eingehenden Untersuchungen und Gesprächen wird Tagovailoa aber auf den Platz zurückkehren (wollen). Viel Kritik musste er sich in den letzten Jahren aus verschiedenen Ecken anhören. Nun zeigt sich aber: das komplexe System von Mike McDaniel´s Offense kann nicht jeder QB umsetzen. Der Alabama-Absolvent wird händeringend für sportlichen Erfolg gebraucht. Der Plan sieht vor, dass er gegen die Arizona Cardinals wohl wieder spielen möchte. In den Spielen ohne ihn hat Miami z.T. Spiele verloren, zu denen man sagen konnte, dass man sie mit Tua vielleicht sogar hätte gewinnen können. Natürlich wäre jede franchise schwer angegriffen, wenn ihr starting Ballverteiler nicht spielen könnte. Zum Teil der Wahrheit und der Analyse der Offense zählen aber auch die (vorherzusehenden?) Leistungen der Vertreter des Hawaiianers.

III. Der nächste „Elefant“ – die Evaluation der Spieler und der Offensive Line

Ein wesentlicher Kritikpunkt richtet sich momentan an die sportliche Führung der Offensive, bestehend aus OC Frank Smith, HC Mike McDaniel und GM Chris Grier. Die Tatsache, dass Tua eine gewisse Gefährdung bei der nächsten Concussion haben würde, war kein unbekanntes Szenario. Man hat sich – trotz dürftiger Leistungen in der Offseason – dazu entschieden, mit dem Backup-Duo Boyle/Thompson in die Saison zu gehen. Das muss man getrost kritisieren dürfen. Ebenso die Ausstattung des WR rooms. Die Verletzung River Cracrafts war Mitte August. Das OBJ nicht rechtzeitig fit werden würde, war ebenfalls abzusehen. Es wurde entschieden, hier nicht prominent nachzuverpflichten und mit den Receivern zu arbeiten, die man in den PS beordern und elevaten konnte (Chosen, Eskridge). Da man auf einen gestandenen NFL-Receiver wie Berrios offensichtlich verzichtet (wenn aus Gründen der Qualität – warum wurde er dann extended?), muss man auch den WR room kritisch hinterfragen.

Die größte Frage betrifft aber wie es nicht anders zu erwarten und zu befürchten war die Offensive Line. Noch Ende August – nach dem Verlust von C Connor Williams und RG Robert Hunt (der natürlich woanders weiter groß abliefert) – stellte sich Chris Grier der Presse und zeigte sein Selbstvertrauen bezüglich der protection des QBs und des run blockings.

Sollte dies tatsächlich so gewesen sein, zeigte die Line ihr wahres „Können“ nicht erst gegen die Titans. Hier holte die O-Line eine run block rate von durchschnittlich knapp an die 30 heraus – gut wären an die 70. Immerhin weisen die Guards Robert Jones und Liam Eichenberg Pass protection win rates von 90% aus und liegen damit im unteren Mittelfeld der Liga. Center Aron Brewer macht generell eine gute Figur in dieser Kategorie, gleiches gilt für Armstead und Jackson. Große Baustelle bleibt aber das run blocking und die generelle Protection. 16 erlaubte Sacks sind zwar weit von den 26 entfernt, die in Cleveland „verteilt“ wurden; drei pro Spiel sind es dann aber doch. Wäre Tyler Huntley nicht so mobil, es wären in Boston mehr als der Durchschnitt gewesen. Das wirkt sich alles auf eine Offensive aus, die in der Theorie eigentlich wesentlich stärker sein sollte.

From riches to rags oder wie eine (theoretische) Top-Offense in sich zusammenfällt

Die Wide Receiver (das auf dem Papier fast beste Trio der Liga…) – und danach?

Im letzten Jahr war gerade die Offensive maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Dolphins mit 5-1 gestartet waren. Die Punkte-Bilanz nach drei Heimspielen stand bei 143-57. Tyreek Hill konnte bis Woche sechs 814 Yards und 6 TDs production aufweisen, Raheem Mostert stand zu diesem Zeitpunkt Mitte Oktober bei 11 erreichten Touchdowns. Tua leitete eine sehr starke und variable Offense; lediglich die Tight Ends hatten zu diesem Zeitpunkt keinen Touchdowns produziert. Das alles wirkt so lange her und derzeit ziemlich weit weg. Betrachtet man die offensive Leistung nach den ersten fünf Saison-Spielen, wird dem geneigten DolFan ziemlich anders und man fühlt sich im falschen Film. In den letzten Spielen hat die Offense erzielt: 10 Punkte bei den Bills, 3 in Seattle, 15 in Boston sowie 12 gegen die Titans. Vierzig Punkte in vier Spielen. Kannst du kaum ein Spiel mit gewinnen und hätten die 2023er Dolphins wahrscheinlich in einem oder zwei Spielen hinbekommen. Die haben aber auch über 400 Yards pro Spiel aufgelegt. Da liegt der Schnitt der bisherigen Saison aber mal locker 100 Yards pro Spiel darunter.

1.512 erreichte total Yards sind für eine Offense der theoretischen Power der Miami Dolphins einfach nicht gut genug. Wenn man bedenkt, das die Hälfte aus den ersten beiden Saison-Spielen stammt, lässt sich der Leistungs-Abfall nach Tua belegen. 928 passing Yards in fünf games, 483 davon durch den Hawaiianer. Seine drei Stellverteter sind in drei Spielen für deutlich weniger verantwortlich. Untermauert wird er durch die Tatsache, dass Miamis zwei (!) passing TDs nach fünf Spielen beide noch vom starting QB entstammen. Anders gesagt: die Dolphins warten seit über drei Spielen auf einen Passing TD und das Pass-Spiel ist hoffnungslos ungefährlich. Tim Boyle (schon wieder entlassen), Skylar Thompson (sichtlich mit NFL-Niveau überfordert) und Neu-QB Tyler Huntley haben es in knapp 100 Wurf-Versuchen nicht geschafft, Punkte oder mehr als 450 Yards zu produzieren. 60% angebrachte Bälle sprechen hier eine weitere Sprache und nicht gerade für Tuas Ersatz-Spieler. Sie sprechen aber ebenso wenig für die Pass-Empfänger.

Das lässt sich nicht nur durch die Abwesenheit der Herren Beckham Jr., Cracraft oder der Rookie-Washingtons erklären. Das hoch gehandelte Receiver-Duo Tyreek Hill (23/39 für 286 Yards, 1 TD – bereinigt ohne Tua in vier Spielen keine 150 Yards) und Jaylen Waddle (21/28 für 258 – ohne Tua ebenfalls unter 150 Yards, kein TD) befindet sich noch nicht wirklich in der Saison. Natürlich gab es den einen oder anderen Pass, den die beiden hätten festhalten müssen. Sie werden durch gegnerische Defenses aber auch konsequent so eng gedeckt, dass sie selten mal frei sind – und wenn das mal vorkommt, werden sie konsequent übersehen (hat man den Eindruck). Ein Braxton Berrios wird bei vier targets in der Saison fast völlig ignoriert, Rookie Malik Washington hat eins abbekommen. Neben diesen vieren wird der Rest muter durchgetauscht. Erik Ezukanma (2 targets), Robbie Chosen – oder wie er sich gerade nennen mag – 4 targets, 1 catch über 5 Yards. Eskridge (1 Reception über 30 Yards), Dubose (3 targets, 1 Rec. für 13 Yards) – eine wirkliche Konstanz oder Qualität sieht da anders aus. Es hat den Eindruck, dass Miami ohne seine #10 und #17 keinen weiteren Plan in der Tasche zu stehen hat. Es wird auf die beiden geworfen (auf den ersten Blick „nur“ 67 von 156 targets. Gegen die Titans aber knapp 2/3 der Pässe. Variabilität sieht etwas anders aus) – und fertig. Als ob es neben denen niemand anderen gäbe, der in der Lage wäre Bälle zu fangen oder als ob jegliche WRs im Lineup nicht zu gebrauchen wären. Bei einigen mag das sein, bei z.B. Berrios oder Malik Washington hat man es schlichtweg nicht versucht, sie wurden ausgespart. Dieses Wort mag aber nicht nur auf die WRs zutreffen…

Die Tight Ends

Altes und neues Thema: die Tight Ends. Mit viel Geld und Einsatz hat man vor der Saison Jonnu Smith zu Durham Smythe und Julian Hill verpflichtet. Deren Bilanz ist nicht nur deswegen erschreckend, weil sie nur bedingt in der Lage zu sein scheinen, den Ball zu fangen und festzuhalten. Hill und Smythe haben 12 targets, 5 Catches für 41 Yards vorzuweisen. Völlig indiskutabel. Bedingt eigene Schuld, vielleicht aber auch schlichtweg mangelnde Qualität. Die sollte man Jonnu Smith nicht vorwerfen. Auf seinem Zettel stehen mit 21 targets (8 davon letzten Sonntag), 14 Receptions (davon 5 in Foxborough) sowie 140 Yards (gegen die Pats davon mit 62 Yards beinahe die Hälfte) und keinem TD aber auch keine Wunder-Dinge. Immerhin bewegt er sich damit auf Augenhöhe mit Hunter Henry (Pats) oder Dalton Kincaid (Bills). Der letzte TD eines Spielers dieser Position stammt aber vom Neujahrstag 2022 (!) und einem gewissen Mike Gesicki. Da läuft es also auch alles andere als rund.

Das running game als Stärke einer pass heavy offense oder als letzte Option?

Davon zu sprechen, das Laufspiel würde bei den Miami Dolphins funktionieren, wäre wahrscheinlich zu sehr vom Spiel in Foxborough am vergangenen Wochenende eingefärbt. Generell muss man auch hier konstatieren: es lief bisher wenig zusammen – mit zwei Einschränkungen und ganz viel Hoffnung auf Verbesserung. Über die Rückkehr von Raheem Mostert gab es eben schon etwas zu lesen. Er wird der Unit sicher einen push geben können; wie groß der ausfallen wird, bleibt abzuwarten. Darüber hinaus spielt hier sicher der bislang Offensive Player of the year der Dolphins, der gegen New England leider weite Teile des Spiels fehlte: Devon Achane. Der junge Mann musste nach ganzen 11 snaps vom Feld; er dürfte aber gegen die Colts wieder zur Verfügung stehen. Seine production über das Jahr gesehen leidet aber unter dem fehlenden run block der Line. Die langen Läufe der ersten Saison bekam er bisher nicht hin – sein längster Lauf ging über 17 Yards. Generell sind 56 Versuche für 183 Yards (indiskutable 3,3 Yards/Versuch) alles andere als eine gute Leistung. In den Spielen in Seattle und gegen die Titans (2.7 bzw. 1.5 Yards) erlebte die Entwicklung des letztjährigen Shooting-Stars eine erhebliche Delle. Einzig seine Qualitäten im Receiving (21 von 23 für 186 Yards) und damit verbundene 370 scrimmage Yards sowie die Schwäche der anderen Playmaker machen aus Achane DEN offensiven Lichtblick der Saison.

Das übrige running game ist quasi noch weniger existent. Rookie Jaylen Wright hat zwar 139 Yards erlaufen – 86 davon entstammen aber dem letzten Sonntag. Mostert war lange verletzt. Jeff Wilson Jr. hat schlappe 40 Yards aus einem Spiel zu bieten. Vielmehr sorgt auch Neu-QB Tyler Huntley dafür, dass die nackten Zahlen total besser aussehen als der Durchschnitt. Da liegen die Werte bei Wright inzwischen bei 4.8 Yards – bei Achane und Mostert allerdings unter vier. Alec Ingold – der am Sonntag einen rushing TD erzielte – wird in der Saison auch nicht regelmäßig eingesetzt. Lediglich 6 Carries stehen zu Buche. 11 Yards sind dafür weit von beeindruckend entfernt. Man könnte den Fullback sicherlich noch wesentlich variabler einsetzen

Zum Abschluss eine (weitere) neue alte Schwäche: 3rd down conversions oder „kurze“ Versuche

Dieses Dilemma hat natürlich auch Auswirkungen auf den Erfolg bei short yardage conversions – ein Problem, welches man in der abgelaufenen Offseason mit Jonnu Smith und Odell Beckham, mit Jaylen Wríght im Draft und mit Ingold als Fullback zu verbessern versucht hatte. Die erreichte 3rd down efficiency von knapp 40 Prozent erschien den Verantwortlichen nicht gut genug, so dass man hier zu reagieren versuchte.

Das Ganze gestaltet sich in der Praxis dann doch eher schwierig. Bei 4th downs steht Miami 2/12, bei 3rd downs 22 von 58. Besonders hervorgetan hat sich hier (negativ) die Entwicklung. Gegen die Jaguars noch bei 8/16, bei den Bills mit 7/15 nur leicht schlechter. Das ist schon okay. Die 3 Spiele dazwischen aber sind hinsichtlich der 3rd down efficiency verheerend: 2/11 (Patriots), 2/12 (Titans) und 1/12 (Seattle) – 5 von 35 (!). Oder anders gesagt: bei lediglich 5 Versuchen endete der offensive drive NICHT nach dem 3rd down. 14 Prozent. Natürlich Platz 32 in der Liga. Cleveland hat an 31 in den letzten drei Spielen 22 Prozent, Washington an eins knapp 58. Oder um es noch deutlicher zu machen: von 100 Third downs komplettieren die Commanders 58 – Miami 44 weniger (!). Oder von 10 eben knapp 6 zu einem bei den Fins. Da in einem Football-Spiel ja von diesen 3rd down situations immer so um die 15-20 kommen, endet der Drive da für die Miami Dolphins zwei mal NICHT. Da sind wir noch weit davon entfernt von Punkten zu sprechen.

Da muss man in Verbindung mit dem Einsatz von Tight Ends, Fullback oder bestimmter Wide Receiver schon auch mal das playcalling kritisieren und überdenken. Denn wenn sich an dieser neuralgischen Stelle nicht wieder etwas ins Positive verschiebt, wird auch die weitere Saison nicht erfolgreich werden können. Das sah am Sonntag gegen eine nicht so schlechte Defense der Patriots schon ein wenig besser aus. Man wird abwarten müssen, ob sich die Offense mit einem QB Tua Tagovailoa wieder in eine positive Richtung entwickelt. Ansonsten werden sicher nicht nur die Stühle von OC Frank Smith, TE Coach Jon Embree oder O-Line Coach Butch Barry gewaltig wackeln. Bislang muss man hier deutlich von einer erschreckenden Enttäuschung aufgrund von Playcalling, falscher Spieler-Evaluation, Verletzungen und eklatanter Fehl-Leistung bei den 3rd downs sprechen. Wenn das nicht besser wird und eine Top 10 Offense 2023 im unteren Drittel 2024 stecken bleibt, dürfte auch der Posten von Mike McDaniel ungemütlich werden.

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