My two cents: Tua und die Concussion(s?) – Versuch einer Chronologie und subjektiver Meinung

Zunächst einmal vorweg: dies ist der Versuch, die verschiedenen Positionen zu verbinden. Eine gemeinsame Basis zu schaffen. Gewisse Dinge von einander zu trennen. Gut kommt dabei keiner der Beteiligten weg. Eine Schuldfrage oder die Suche nach Verantwortlichen ist wenig zielführend, denn (meine Meinung!): es gibt hier nur Verlierer und jeder Verantwortliche kommt als Verlierer aus der Bilanz heraus – nur eben nicht auf jeder Ebene. Es gilt hier, das Sportliche vom Faktischen, dem Moralischen, dem Ethischen und dem Menschlichen zu trennen. Eine billige Polemik, leichtfertiges „Person XY hätte … tun MÜSSEN“ führt niemanden wirklich weiter. Doch beginnen wir zunächst mit der Chronolgie der Fakten:

DAS DRAMA UM TUA – DAS SIND DIE (BEKANNTEN) FAKTEN

  • Kurz vor Ende der ersten Halbzeit im Spiel gegen die Buffalo Bills ereignen sich zwei Dinge: Tua soll sich den Rücken verletzt haben und trägt nach einem Late hit-Schubser eines Bills-LBs und einer unsanften Landung mit dem Hinterkopf augenscheinlich (das wurde nie so bestätigt) eine head injury davon und muss in die Kabine. Zumindest Miamis medizinische Abteilung spricht zunächst von einer „head injury“ . Konsequenz: Untersuchung durch unabhängige Ärzte der Liga im concussion protocol.
  • Nach der Pause kehrt Tua zurück. Die medizinische Abteilung ändert den injury report in back injury. In der HZ selber hat Tua das von der Liga obligatorische concussion protocol durchlaufen und offenbar bestanden. Er wird durch unabhängige Ärzte in einem Standard-Verfahren medizinisch gecheckt und für spielfähig erklärt und spielt die zweite HZ (bei 37 Grad) in Bezug auf eine Gehirn-Erschütterung unauffällig.
  • Nach Medien-Berichten (Quelle ist hier Tom Pelissero vom 30.9.) wird Tua zwischen Montag und Donnerstag nun jeden Tag durch die Dolphins-Ärzte neurologisch untersucht, jeden Tag für gesund plus am Donnerstag schließlich für spielfähig erklärt

Tua Tagovailoa was checked for concussion symptoms every day since Sunday. Dr. Allen Sills (NFL-Arzt) points out independent neuro expert had to clear him.

https://twitter.com/TomPelissero/status/1575896647254609921
  • Bei noch fast 6 Minuten des zweiten Quarters (bis dahin kann man auch keine Anzeichen von Folgen des Bills-Spiels erkennen) wird Tua im TNG durch Cincinnatis Josh Tupou gesacked und hart auf den Boden befördert. Ein harter hit, aber keine unfaire Aktion (finde ich). Sie wird auch nicht bestraft, löst aber eine Reaktion aus:
  • nach einer offensichtlich heftigen Verletzung wird Tua Tagovailoa vom Feld und in das University of Cincinnati Medical Center gebracht mit Verdacht auf „head and neck injuries“
  • in den letzten Tagen und auch darüber hinaus wird Tua immer wieder medizinisch untersucht. Er durchläuft das Concussion protocol der Liga, so wie jeder andere Spieler auch. Bisher sind keine Folgen offensichtlich, er kann alle Extremitäten bewegen und scheint das Ganze recht gut überstanden zu haben

Vorab: Die Gesundheit des Menschen Tua ist das Wichtigste, die Gesundheit aller Spieler der NFL steht für mich im Vordergrund

Das ist leicht in die Welt hinausgebrüllt, ich entscheide nicht über millionenschwere Aspekte. Ich – wie wir alle – war bei den Untersuchungen nicht dabei und verlasse mich auf Aussagen, denen man auch mißtrauen kann. Ich maße mir aber nicht an, als medizinischer Laie per TV eine Diagnose zu erstellen und zu sagen: Ja, der hatte zu 100% dieses oder jenes. Wer da welchen Anteil hatte – rechtlich war es vielleicht korrekt. Menschlich-ethisch sieht die Sache im Nachhinein natürlich anders aus. Da fällt eine Beurteilung sicher leicht. Erste Konsequenzen hat es ja gegeben.

Ganz offensichtlich wurden durch den verantwortlichen Arzt des Concussion protocols vom Bills-Spiel Dinge nicht so ausgeführt, wie sie das hätten getan werden sollen. Inzwischen ist er ja auch seinen Job los. Zumindest ein Indiz, dass die Entscheidung, den hawaiianischen QB zur zweiten HZ am Sonntag für spielfähig zu erklären, nicht richtig gewesen sein könnte. Unter anderem hier der Konjunktiv, denn die eingeleitete Untersuchung der NFLPA läuft noch.

The unaffiliated neurotrauma consultant involved in clearing Dolphins QB Tua Tagovailoa during Sunday’s game against the Bills has been fired (…) after several mistakes, according to ESPN

https://twitter.com/espn/status/1576277263770914819

So lange hier kein Betrug nachgewiesen wird, ist die Entscheidung Tua zurückzuschicken, rechtlich vertretbar und sportlich zumindest nachvollziehbar. Der Arzt sagt: „der hat keine Gehirnerschütterung, der kann spielen“ – und die franchise, die Coaches und alle Anderen lassen ihn. Wie gesagt: so weit, so nachvollziehbar.

Die Frage stellt sich (schon am Sonntag) eher aus moralischer Sicht. Aber die kann sich keiner anmaßen beurteilen zu können, der nicht bei den Untersuchungen dabei war. Wenn aber jemand mit medizinischer Ahnung bei dem protocol dabei war, diese Fehler festgestellt und nicht sein Veto eingelegt hat, dann haben wir eine weitere große Story. Dann ist es mir persönlich auch egal, ob der nun bei der Liga oder der Fins angestellt wäre. Jemanden trotz besseren Gewissens zurück aufs Feld zu schicken bei DEM Risiko, weil die Untersuchung nicht korrekt/fehlerhaft war, könnte man weder juristisch noch moralisch verteidigen. Das wäre verwerflich und skandalös, so ein Mensch dürfte sicherlich keine Concussion protocols mehr durchführen.

Ob die korrekt abgelaufen sind, ob es einen Zusammenhang zwischen Sonntag und Donnerstag gibt, ob es dieses nicht gibt – das alles wird derzeit durch die NFLPA untersucht. Dazu gab es vor wenigen Stunden auch ein Statement

The joint NFL-NFLPA investigation (…) remains ongoing. Therefor, we have not made any conclusions about medical errors ot protocol violations

https://twitter.com/NFLPA/status/1576354267304456192

Ohne diese Ergebnisse darf man gerne vom Sessel aus für oder gegen die Dolphins wettern – rechtlich und sportlich stellt sich diese Frage (noch) nicht. Tua durfte spielen, er spielte – weil er die beste Option der Dolphins darstellte, das Spiel zu gewinnen. Weil er selber spielen WOLLTE. Weil keiner der Beteiligten gesagt hat, dass er das nicht könne/solle/dürfe.

Den Business-Aspekt zur Seite – hätte er spielen sollen?

Stand jetzt lässt sich also feststellen, dass er spielen durfte. Es lagen offenbar (das sollte man ruhig kritisch sehen) keine medizinischen Gründe oder Fehler vor, die Tua vom Spielen abgehalten hätten. Hätte man ihn trotzdem draußen lassen sollen? Im Nachhinein ist das „JA“ leicht zu sagen. Klar, McDaniel und Co. hätten ihn mit dem Wissen von heute wohl auch nicht spielen lassen. Da er aber offenbar fit war und sportlich die beste Option darstellt, ein Spiel zu gewinnen, wollte und wurde er auch als starter nominiert. Diese Liga ist ein Business (ach, tatsächlich), die Entscheidung, den QB zu nominieren, war ebenso eine solche. Scheinbar sprach ja auch nicht viel dagegen, ihn erst einmal draußen zu lassen. Stand jetzt lässt sich ja auch keine Verbindung zwischen den beiden Situationen in den Spielen Sonntag und Donnerstag erkennen. Stand jetzt…

Ist dann also doch alles richtig gewesen? NEIN!

Wenn also alles korrekt abgelaufen ist, ist dann alles richtig? Nein, beim besten Willen nicht! Wie die Liga und die Gewerkschaft selber anhand des Falles von Tua gemerkt haben, was sie aber auch schon in X Fällen zuvor bei anderen franchises hätten merken können (müssen vielleicht sogar!): das Concussion protocol und die Untersuchungen sind Mist! Moralisch lassen sich an dieser Stelle alle Ärztinnen und Ärzte in die Pflicht nehmen, Hippokratischer Eid und so. Den beteiligten Mediziner*Innen hätte auffallen (ich benutze das Wort) können (bitte hier nach individueller Meinung durch die Worte MÜSSEN oder SOLLEN ersetzen), dass die Tests zur Evaluation einer Gehirn-Erschütterung nicht ausreichend sind. Dies hätte der Liga auffallen _______ (hier das entsprechende Wort einsetzen). Jedes Mitglied eines medizinischen staffs jeder franchise hätte der NFL oder der NFLPA melden müssen, dass die Tests ungeeignet sind. Wir sind weit davon entfernt, in einer medialen Hexenjagd nur gegen die Fins zu stehen. Wahrscheinlich werden Mitarbeiter*Innen der franchise Fehler gemacht haben, wahrscheinlich haben sich viele zu sehr hinter den Untersuchungen vermeintlich unabhängiger Ärzte verstecckt – aus der moralischen Verantwortung entlässt es sie nicht. Wissen wir als Unbeteilgte auf Social Media dies? Steht uns ein Urteil in die ein oder andere Richtung zu? Wohl eher nein. Eine Verletzung auf dem TV zu erkennen, halte ich für unwahrscheinlich. Sie ausschließen zu können auch. Sich auf ein Urteil zu verlassen, halte ich für naiv. Blind dies aber in Frage zu stellen, genauso. Wir befinden uns derzeit alle im luftleeren Raum und spekulieren ins Blaue – das sollte aus Sicht der Experten, aber auch bei uns DolFans, doch besser gehen. Einfach die Untersuchung abwarten. Wie beim Tampering. Hätte ich mir auch nicht vorstellen können, war aber so. Natürlich machen das 31 andere franchises auch, das protocol bei Concussions ist ja für alle gleich. Es handelt sich also um ein auf die Dolphins exemplarisch angelegtes Problem der Liga. Ist vielleicht ganz gut, dass es die eigene franchise trifft und die Medizinische Abteilung der Fins als Erste hier (zwangsläufig) geschult wird.

So führt im Nachgang das Schicksals von Tua sein Erleiden vielleicht dazu, die Sicherheit zu erhöhen und das unsägliche Vorgehen zu verbessern. Dann würde die Rechnung vielleicht am Ende in den künftig verletzten Spielern sogar noch jemand von dem ganzen Drama profitieren, dass sicher im Nachgang noch die eine oder andere Tatsache zu Tage fördern wird. Stand jetzt sehe ich aber nur Verantwortliche, moralisch Schuldige und „nur“ ein Opfer – den Menschen Tua Tagovailoa. Hoffen wir, dass der Hawaiianer nicht im Nachhinein auch noch durch Spätfolgen darunter leiden muss. Es würde mich aber nicht wundern, wenn er gegen die Jets wieder auf dem Platz steht.

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